Von Christian Schmidt
Das Horrorgenre lässt sich vielleicht einigermaßen treffend als das Abwassersystem unseres Unterbewusstseins beschreiben. Dinge, die uns nicht behagen, lassen sich im Bereich des Fiktiven ganz unbeschadet ausleben. Und wenn wir alles in Ruhe verdaut haben, können wir ganz erleichtert die Spülung betätigen und das Grauen wieder vergessen. Einige Stories werden wir aber nicht so schnell los – sie werden unversehens wieder hochgespült, grinsen uns verstohlen an und scheinen uns sagen zu wollen, dass sie noch nicht mit uns fertig sind. Solche Geschichten sind wie Pennywise, der tanzende Clown aus Stephen Kings Roman „Es“, der viele von uns bereits zum dritten Mal aus der Kanalisation anstarrt und mörderischer als je zuvor seine Reißzähne aufblitzen lässt.
Stephen King ist es mit Sicherheit gelungen, mit dem Roman und seinem ikonischen Monster eine der bemerkenswertesten Geschichten des Genres zu verfassen. Andy Muschettis Neuverfilmung bleibt dem Roman in groben Zügen treu; die Handlung ist lediglich verknappt und aus den 60er Jahren in die 80er Jahre verlegt worden, um sich einem jüngeren Publikum anzunähern, dessen Nostalgiebrille wahrscheinlich noch von Netflix‘ „Stranger Things“ ganz beschlagen sein dürfte. Dabei ist ohnehin eine merkwürdige Referenzschleife am Werk – wo „Stranger Things“ vor allem als Hommage an Stephen King-Geschichten und Abenteuerfilme à la Steven Spielberg funktioniert, da fühlt es sich nun so an, als würde die Neuverfilmung von „Es“ wiederum permanent die Netflix-Serie zitieren. Dafür sprechen große Ähnlichkeiten in den Motiven, dem Plot und der Figurenkonstellation, aber auch zahlreiche Eastereggs und die Tatsache, dass mit Finn Wolfhardt ein jugendlicher Schauspieler in beiden Produktionen Figuren spielt, die sich nicht gerade unähnlich sind.
Doch worum geht es bei „Es“ denn nun? Der Ausgangspunkt ist ein drückend heißer Sommer in der Kleinstadt Derry im US-Bundesstaat Maine, in der eine Bande von Außenseitern in einen Strudel aus übernatürlichen Ereignissen gesogen wird. Immer wieder verschwinden spurlos Kinder aus der Stadt – darunter ist auch Georgie, der kleine Bruder des stotternden Bill, der in den ersten Minuten unangenehme Bekanntschaft mit dem Clown Pennywise macht. Als sich die unheimlichen Vorfälle häufen, beschließen Bill und seine Freunde, selbst etwas gegen das Unheil zu unternehmen und dabei ihre größten Ängste zu konfrontieren.
Viel darüber verraten zu wollen, was dieses „Es“ eigentlich ist, wäre ein Spoiler, weshalb hier davon abgesehen wird. Stattdessen soll nur notiert werden, dass es Andy Muschietti gelungen ist, die Neuverfilmung nach Jahren in der „development hell„ wirkungsvoll auf die große Kinoleinwand zu bringen. Der Film ist als Hommage toll inszeniert, durch die Kameraführung und die orchestrale Rahmung atmet er regelrecht die Abenteuerfilm-Ästhetik des Zeitraums, in dem er angesiedelt ist. Wenn es ans Eingemachte geht, wirkt der Film jedoch – wie der Roman selbst übrigens auch – wie ein solide zusammengetragener Katalog an Schock- und Ekelmomenten, die den abgebrühten Horrorfan trotz der durchaus bemerkenswerten Effekte deshalb auch nicht vom Hocker reißt. Es ist daher auch gut, dass der Film eine weitere Eigenschaft des Romans teilt. Das wahre Grauen verbirgt sich hier weniger in der Darstellung der spektakulären Albtraumfantasien, sondern vor allem in der Welt der Erwachsenen, die sich den Kindern immer wieder von seiner hässlichsten Seite zeigt. „Es“ macht klar, dass sich die kindlichen Ängste genau aus dieser Welt speisen, dass sie ernst genommen werden müssen und sie sich am besten bewältigen lassen, wenn man auf den Zusammenhalt seiner Freunde zählen kann. Die berührende Coming of Age-Geschichte hinter dieser Lektion ist das Herzstück der Geschichte, die das Buch natürlich besser erzählt. Damit reiht sich „Es“ in eine Serie aus King-Adaptionen ein, die es im Medium Film durchaus schwierig haben; gleichzeitig ist der Film aber weit vom Totalausfall der aktuellen „Dark Tower“-Verfilmung entfernt. Horrorfans machen hier aber bestimmt nichts falsch, wenn sie eine Kinokarte kaufen. Eine Literatur-Adaption, die der Vorlage in allen Belangen gerecht wird, bleibt aber noch aus.
Fazit: 7 von 10 schwebenden roten Luftballons