Die Frage nach der eigenen Identität beschäftigt viele Menschen. Aber im Gegensatz zu jenen von uns, die mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlechtsidentität fein sind (auch als cis Personen bekannt) haben Menschen, denen dies anders geht, es doppelt so schwer. Hier wird aus der Frage „Wer bin ich eigentlich?“, schnell ein „Was bin ich eigentlich“? So geht es auch Maia Kobabe deren Graphic Novel GENDER QUEER, erschienen im Reprodukt-Verlag, sich mit genau dieser Frage befasst.
Darum geht es in GENDER QUEER
Mit „Genderqueer“ hat Maia Kobabe eine einfühlsame und gleichzeitig radikal offene Autobiografie geschaffen – über die Suche nach sich selbst. In den 1990ern ist Maia Kobabe ein leicht verstockter Teenager, der an allen Ecken und Kanten auf Fragen und Widerstände stößt. Heimliche Schwärmereien für die Mitschüler:innen, Freundschaften, Familienkrisen, Schulstress – der ganz normale Pubertätswahnsinn. Aber Maia strauchelt weit mehr als die Altersgenoss:innen. Als Mädchen fühlt sich Maia unwohl und oft fehl am Platz. Aber ein Junge will Maia auch nicht sein, zumindest nicht ganz. Kann man weder das eine noch das andere sein und trotzdem glücklich werden?
„Genderqueer“ ist eine der erfolgreichsten Comicautobiografien der letzten Jahre, ein Befreiungsschlag, mit dem Maia Kobabe nicht nur die eigene Geschichte und Identitätsfindung aufzeichnet, sondern auch einen immens wichtigen Ratgeber zur Geschlechtsidentität für Menschen auf der Suche nach sich selbst und ihrem Platz in der Welt geschaffen hat.
Meine Review
Eine der, für mich, einprägsamsten Szenen, von GENDER QUEER, ereignet sich relativ am Anfang. Maia ist noch recht jung, vielleicht gerade einmal neun Jahre alt, und mit der Klasse an einem See. Es ist warm und alle Kinder wollen ins Wasser. Die Jungs werfen ihre Sachen in den Sand und rennen nur mit Unterhosen bekleidet ins kühle Nass. Maia tut es ihnen nach. Und wird dann zurecht gewiesen: Du bist ein Mädchen, Mädchen haben nicht Oberkörperfrei zu sein. Weil…. ja warum genau? Erkläre mal einem neunjährigen Kind, dass es bereits auf die eines Tages wachsenden Brüste reduziert und damit genau genommen sexualisiert wird. Ein Umstand, für den besagtes Kind rein gar nichts kann.
Momente wie diese widerfahren Maia wieder und wieder. Dey hat dabei das Glück, in einer ganz wunderbaren Familie groß zu werden, welche den gesellschaftlichen Normen wenig abgewinnen kann. Ein Glück im Unglück. Denn da Maia so fern ab dieser Normen aufwuchs, ist deren Unverständnis für diese umso größer. Nicht, dass Verständnis wirklich helfen würde. Denn die Gesellschaft hat auch keine wirklichen Antworten auf Maias Fragen parat.
Was bin ich, wenn ich in keine dieser Normen oder Schubladen passe?
Maias Identität wandelt sich dabei mehrfach. Zunächst queer, zwischendurch nicht-binär, aber letztlich irgendwo außerhalb von all dem.
Die Krux des binären Systems
Wir Menschen sind ja zugegeben, manchmal etwas hilflos. Wir brauchen Strukturen, an denen wir uns festhalten können. Eine der etabliertesten dieser Strukturen ist das binäre System: Es muss immer zwei geben. Egal ob Ying/Yang, Mann/Frau, schwarz/weiß – die zwei stehen immer im harten Kontrast und sind die zwei Enden eines Extrems.
Aber wo wir bei schwarz/weiß mittlerweile die Grauzone etabliert haben, fällt es den meisten Menschen erstaunlich viel schwerer, sich ein „Dazwischen“ beim Gegensatz zwischen Mann und Frau vorzustellen. Maias Reise in GENDER QUEER läuft aber auf eben dieses Dazwischen hin. Dey ist nicht trans, dey ist das Dazwischen, dey will das alles einfach nicht und einfach nur Maia sein.
Fazit und Einordnung zu GENDER QUEER
Für wen ist GENDER QUEER nun eigentlich? Ich würde sagen, dass jede:r aus diesem Buch etwas mitnehmen kann. Kinder und Jugendliche können entweder Verständnis für ihre eigene Situation oder Empathie für Personen in ihrem Umfeld entwickeln. Erwachsene können vielleicht das eigene Kind besser verstehen. Alle von uns können aber vor allem mehr Verständnis darin finden. Ich für meinen Teil sehe mich zwar bereits als Ally – aber habe im Sprachgebrauch noch Anpassungsschwierigkeiten mit den Pronomen. Das geht aber nicht nur mir so. Das ist Gewöhnungssache. Sprache ist tief in unserem Hirn verankert, Gewohnheiten zu ändern braucht Zeit. Was zählt, ist der Wille, sich solch einer Änderung zu stellen.
Es gibt jedoch auch kritische Stimmen gegen GENDER QUEER. Diese kommen, Überraschung, vor allem aus erzkonservativen Ecken der USA. Dort wird das Buch teilweise aus öffentlichen Bibliotheken verbannt, da es Teenies sexualisiere. Wie absurd das ist, fasst der folgende Beitrag von John Oliver sehr gut zusammen:
(Um GENDER QUEER geht es etwa ab Minute 16)
Anyway, zurück zum Thema! Ich finde GENDER QUEER ist eine erstaunliche, tiefe, ehrliche und ebenso traurige Autobiografie. Traurig daran ist vor allem der Spiegel unserer Gesellschaft. Wer etwas dazu lernen möchte, sollte GENDER QUEER lesen. Abseits davon noch mega Lob an die Übersetzer:innen der deutschen Version! Angesichts der deutschen Sprache war das mit Sicherheit keine leichte Aufgabe!
Von mir bekommt die Graphic Novel 10 von 10 Punkten!
GENDER QUEER von Maia Kobabe erschien im Reprodukt-Verlag und ist für 20 Euro überall da erhältlich, wo es was zum Schmökern gibt!
Bildrechte: © Maia Kobabe / Reprodukt-Verlag