Lesetipp: Alice Guy – Die erste Filmregisseurin der Welt

Wenn ihr an die Geschichte des bewegten Bildes denkt, an wen denkt ihr da? Charlie Chaplin? Die Gebrüder Lumiere? Vielleicht sogar George Méliès? Aber kommt irgendwem der Name Alice Guy bekannt vor? Vermutlich den wenigsten. Das versucht die gleichnamige Graphic Novel von Catel Muller und José-Louis Bocquet zu ändern. Zum 150. Jahrestag der ersten Filmregisseurin der Welt erschien diese im Splitter-Verlag und ich hab mal reingeschaut!

Darum geht es in ALICE GUY

Alice Guy (1873–1968) war die erste Filmregisseurin der Welt, ebenso die erste Produzentin und Drehbuchautorin. Sie inszenierte und produzierte an die 500 Filme, agierte in einigen frühen davon auch in Nebenrollen. Bis 1907 war sie Produktionsleiterin der französischen Firma Gaumont, die von 1905 bis 1915 das größte Studio der Welt besaß. 1910 gründete sie in New York die Solax, ihr eigenes Studio, in dem mehr als 300 Filme aller Couleur inszeniert wurden.

Trotzdem wird Alice Guys Leben und Schaffen noch Jahrzehnte nach ihrem Tod von der Filmgeschichtsschreibung unterschlagen oder ihren männlichen Mitarbeitern zugeschrieben. Catel Muller und José-Louis Bocquet korrigieren in ihrer Comicbiografie diese Irrtümer und erinnern an die außergewöhnliche Filmemacherin, die den Bildern das Laufen lehrte.

Meine Rezension

Die wuchtige Hardcover-Graphic-Novel ALICE GUY ist das totale Kontrastprogramm zur vorherigen Lektüre. Wer meine Rezensionen verfolgt, erinnert sich vielleicht an ARISTOTELES. Mit 220 Seiten war ARISTOTELES ebenfalls ein Wälzer. Beide Bände erzählen historische Begebenheiten in gezeichneter Form. Aber wo der Philosoph sich zog wie vertrockneter Kaugummi und auf Grund fehlender Struktur kaum lesbar war, fliegen die 400 Seiten von ALICE GUY nur so dahin!

Mein Hauptkritikpunkt bei ARISTOTELES war die mangelnde Struktur – die hat der vorliegende Band dafür umso mehr. Die unterschiedlich langen Anekdoten aus dem Leben der Alice Guy werden jeweils von Zwischenseiten unterbrochen, die das ganze mit Zeit und Ort der Handlung einordnen. So erhält man einen guten Überblick über die Geschehnisse, ohne dass das Werk allzu biographisch und detailliert daher kommt.

Für Fans des Details ist dennoch gesorgt, denn vor dem Hauptteil erklärt ein ausführliches Vorwort, mit wem wir es hier eigentlich zu tun haben. Und bereits da wurde mir klar, mein feministisches Herz liebt die Alice bereit jetzt! Können wir bitte mal eine Runde Applaus dafür spendieren, dass diese Dame sich bereits in den 1890ern mit vollem Selbstbewusstsein in die Firmenleitung ihres Arbeitgebers Gaumont einmischte? Und das mit so viel Redegewandtheit und Genie, dass auch die erzpartriachalischsten Männer eingestehen mussten, dass die was auf dem Kasten hat!

Fazit: ALICE GUY: The OG Girl Boss!

Das Leben und Schaffen von Alice Guy ist rückblickend betrachtet ebenso krass wie auch traurig. Denn von ihrer Geschichte ist wenig erhalten geblieben. Neben vielen ihrer Werke, die es einfach nicht geschafft haben und wahrscheinlich nie wieder auftauchen, wurden jene, die erhalten blieben, männlichen Kollegen zu geschrieben. Alices Geschichte wurde vergessen. Doch ALICE GUY ist ein fantastisches Gesamtwerk, um das zu ändern!

Die Graphic Novel wird zum Schluss noch durch knapp 70 Seiten ausführliche Chronologie, Lebensläufe aller wichtigen Personen sowie einer Filmographie und Bibliographie abgerundet. Fans des Kinos und vor allem der Geschichte des Kinos kommen hier massiv auf ihre Kosten!

Die Graphic Novel liest sich unfassbar gut und trotz relativ geringem Spannungsbogens kommt keine Langeweile auf. Die Zeichnungen von Catel Muller sind schlicht und schön und geben einem tolle Einblicke in eine lang vergessene Welt voller Glanz und Gloria, lange vor Hollywood. Klare Kauf- und Lese-Empfehlung! Pro-Tipp: Schon heute an Weihnachten denken und an den oder die Cineasten in eurem Freundeskreis!

Ich vergebe jedenfalls gute 8 von 10 Punkten!

ALICE GUY von Catel Muller und José-Louis Bocquet erschien im Splitter Verlag und ist für 45,00 Euro überall da erhältlich, wo es was zum Schmökern gibt!

Bildrechte: © Catel Muller und José-Louis Bocquet / Splitter Verlag

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